Mit nur vier Darstellerinnen und Darstellern und einem beeindruckenden Bühnenbild gelang es dem Ensemble der Neuen Werkbühne München, rund 115 Zehntklässler des Albrecht-Ernst-Gymnasiums in die Zeit der Kreuzzüge zu entführen – genauer gesagt ins Jerusalem des 12. Jahrhunderts. Dort spielt Lessings berühmtes Drama Nathan der Weise, das als aufklärerisches Lehrstück für religiöse Toleranz gilt und nun in einer eindrucksvollen Schulfassung auf die Bühne gebracht wurde.
Im Zentrum des Stücks steht Nathan, ein wohlhabender und kluger jüdischer Kaufmann. Er muss sich mit tief sitzenden Vorurteilen und offenem Antisemitismus auseinandersetzen: Ein Brandanschlag trifft sein Haus und hätte beinahe auch seine Tochter Recha das Leben gekostet. Gerettet wird sie von einem christlichen Tempelritter – der jedoch zunächst jede Verbindung zu Nathan ablehnt, allein wegen dessen jüdischen Glaubens. Parallel versucht Sultan Saladin, der muslimische Herrscher der Stadt, Nathan durch eine raffinierte Fragestellung – „Welche Religion ist die wahre?“ – auszutricksen, um an sein Geld zu gelangen. Nathan antwortet mit der berühmten Ringparabel: Drei Ringe stehen symbolisch für Judentum, Christentum und Islam. Welche Religion die „wahre“ sei, lasse sich nicht feststellen – entscheidend sei vielmehr, dass jeder seiner Liebe und seinem Gewissen folge, frei von Vorurteilen.
Obwohl die Inszenierung gekürzt war, brachte sie die Kernaussagen des Stücks klar und kraftvoll auf den Punkt: Menschlichkeit, Mitgefühl, Toleranz. Die Verbindung zur heutigen Zeit wurde dabei immer wieder betont. Die Kulisse zeigte Ansichten Jerusalems in zurückhaltenden Schwarz-Weiß-Tönen, durchbrochen von farbigen Akzenten. Besonders eindrücklich: ein mit rotem Stacheldraht markierter Mauerabschnitt – ein deutlicher Hinweis auf die bis heute andauernden Konflikte in der Region.
Um den sprachlich anspruchsvollen Text für das jugendliche Publikum zugänglicher zu machen, unterbrachen die Schauspieler immer wieder die Handlung. In diesen Momenten kommentierten sie das Geschehen, erklärten historische Hintergründe und verknüpften die Themen des Stücks mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen wie religiöser Intoleranz, Ausgrenzung oder Rassismus. So wurde Nathan der Weise nicht nur verständlich, sondern auch bewegend und aktuell.
Im anschließenden Werkgespräch hatten die Schülerinnen und Schüler zudem die Gelegenheit, mit den Schauspielerinnen und Schauspielern ins Gespräch zu kommen. Dabei erfuhren sie mehr über die Entstehung der Inszenierung, die Umsetzung des Klassikers und den Alltag auf und hinter der Bühne.